Seltsame Türme und Notfallprotokoll C

Kaum dass wir noch nicht begonnen hatten, uns in Kolnik zu langweilen, hatte der Herr von Felmi schon wieder einen Auftrag für uns: Wir sollten einen Brief an den Zauberer Merycad überbringen und bei der Gelegenheit einmal nachschauen, warum der letzte Brief Prado von Felmis unbeantwortet geblieben war. In klaren Worten: Wir sollten einen Zauberer aufsuchen, der wenige Reitstunden im Süden wohnte, um ihm zu helfen, sein staubiges Zimmer aufzuräumen und ein bisschen Kindermädchen spielen.

Irgendwie schafften es der Herr Moncada und Gustan, der Halbling, sich vor dieser offenbar gefährlichen Herausforderung zu drücken. Der Herr Moncada verkündete, er müsse intensiv die allgemeine Stadtarchitektur von Kolnik prüfen und der Halbling meinte, er habe durch seinen Tempelaufenthalt die üblichen BBB-Aktivitäten (Bierprüfung, Badehaus, Bordell) verpasst  und sei daher gezwungen, dies nachzuholen. Ohne Badehaus vielleicht. 

Nun, so machten eben wir Übrigen uns auf den Weg nach Süden. Wir ritten, bis wir nach einigen Stunden am Flussufer den nicht eben kleinen Turm des Zauberers Merycad fanden. Einen Turm ohne Tür, Tor, Pforte oder ähnliches. Typischer Zaubererturm eben. Auch kein Briefkasten, kein Gong, keine Möglichkeit, dem Herrn Zauberer zu sagen, dass die neue Nanny da ist.
In einem völlig leeren Torhaus entdeckten wir Zeichen auf dem Boden, die einen Kreis bildeten, und in Ermangelung eines Halblings stellten wir eben den Zwerg hinein. Er musste bestimmte Worte sprechen, und wupps! war er weg. Eigentlich hätten wir jetzt wieder gehen können....aber die anderen bestanden darauf, dem Zwerg ins Ungewisse zu folgen.

Was wir empfanden, lässt sich am besten als "geografische Unsicherheit" beschreiben. Der Kreis versetzte uns direkt in eine Halle, die sich als Erdgeschoss des Turms zu erkennen gab. Vorsichtig und neugierig erkundeten wir den Raum: Er war leer. Hinter einer verriegelten Tür befand sich ein winziger Raum ohne Fenster- ebenfalls leer. Eine Treppe führte ins nächste Stockwerk, welches leer war. Von diesem Stockwerk aus konnte man auf die Krone der Mauer gelangen, die den Turm umgab. Wir umrundeten den Turm auf der Mauerkrone und fanden eine kleine Plattform mit Liegestuhl, Aschenbecher und einer Mauerzinne, die vermutlich von einem ungeschickten Menschen als Getränkeabstellplatz genutzt wurde. Nun, ich kürze ab: So gut wie jedes Stockwerk war leer, hin und wieder standen Kisten und Kästen herum (alle leer). Im sechsten Stock befanden sich Säcke mit Körnern und Stroh. Im siebten Stock gruppierten sich mehrere Räume rund um eine große Säule in der Mitte. Wir fanden Lager und Vorratsräume und eine Falltür mit einer abwärts führenden Treppe dahinter. Im Stockwerk darunter roch es nach Tier und Stangen voller weißer ekliger Flecken spannten sich von der Raummitte zur Wand. Offenbar waren hier Vögel gehalten worden.

Wir erkundeten weitere Räume  und nur der Aufmerksamkeit  von Brindol (Zwerge haben wirklich eine besondere Beziehung zum Boden, man möchte fast sagen, sie stehen ihm nah) war es zu verdanken, dass wir die Falle rechtzeitig bemerkten. Ha! So leicht kriegt man uns nicht! Ich schlug vor, einen der Körnersäcke von unten zu holen und auf die Falle zu stellen- und siehe da, der Sack verschwand augenblicklich. Zobeida sah nach (acht Stockwerke runter, acht Stockwerke rauf- erstaunlich diese Elfen!) und wie erwartet fand sich der Sack in dem kleinen verriegelten Verlies wieder.

Erst im obersten Stockwerk befand sich ein Raum, in dem immerhin ein Schreibtisch stand. Und ein Regal.
In dem Schreibtisch fand ich einen Schlüssel, der die Tür zum Schlafzimmer des offenbar abwesenden Zauberers öffnete (Schlafzimmer sind eben meine Spezialität!). Dort stand ein Bett und in einer großen Truhe fand Dagol einige Roben des Zauberers, die er alle sofort anprobierte. 
Man stelle sich das vor: Keine Vorhänge, keine Blumendekoration, keine Teppiche. Im Prinzip keine Möbel (Kisten sind ja wohl keine Möbel, nicht wahr?) und überall Dreck. Und es riecht nach Tier. Also eine ganz typische Junggesellen-Wohnung, der die Hand einer liebenden Frau fehlt.

Einige verschlossene Türen später fanden wir endlich die Labor-Räume des Zauberers. Sie lagen voller Zeug und Phiolen und Schriftrollen und Kram. Zobeida fand eine Kristallkugel und als sie diese in ihre Hände nahm, erschien das zerzauste Gesicht eines alten Mannes, der sagte, er sei Merycad und er habe sich in Schwierigkeiten gebracht und wir sollten Notfallprotokoll C beachten- und das Gesicht verschwand.

In der Mitte des Raums war ein Podest mit einem Hebel und der mutige Brindol sprang darauf, betätigte den Hebel und fuhr mitsamt dem Podest in die Tiefe. Dort unten fand sich ein Wandschrank, in dem mehrere Kupferamulette hingen, ein blau leuchtender Steinbogen und ein Buch. Wir blätterten darin und fanden Notfallprotokoll C, aus dem folgendes zu entnehmen war:

1. Roter Stein links und Blauer Stein rechts. 2. Kein Eisen! 3. Badekleidung nicht erforderlich, aber wünschenswert 4. Amulett nicht vergessen!

Aha. Äh. Was?

Diese Zauberer! Nun, da lagen mehrere farbige Steine und in dem leuchtenden Bogen waren entsprechende Aussparungen. So weit, so einfach. Kein Eisen! Mit ungutem Gefühl legten wir unsere Waffen ab und hängten uns jeweils eins der Amulette um. Potzblitz! Das Amulett verwandelte alle anderen in Menschen, selbst den dicken Zwerg! Und Dagol trug plötzlich eine normale Haarfarbe! Zelaya bestätigte dies, Brindol jedoch behauptete, wir seien Knall auf Fall alle zu Zwergen geschrumpft. Zobeida sah uns als Elfen und Dagol  war entsetzt darüber, nicht mehr der einzige wunderschöne Halbelf zu sein!
Die Wirkung der Amulette war offensichtlich die, in Rasse und Volk dem Betrachter gleich zu erscheinen. Sehr praktisch!

Drittens Badekleidung! Was das wohl sein sollte? Wir rechneten damit, irgendwie ins Wasser zu geraten und so legten wir sämtliche Rüstungen ab uns standen alsbald in Unterkleidern vor dem sich öffnenden Portal. Mutig schritten wir hindurch und fanden uns plötzlich in einer gemauerten Nische wieder. Durch einen fadenscheinigen Vorhang fiel etwas gefiltertes Tageslicht und dahinter erklangen viele Stimmen und Schritte.
Wo zum hinterlistigen Garhunn waren wir gelandet??


Bei den blauen Froschfressern

Dagol, dessen Heldenmut schier unerschöpflich schien, wagte es, durch den Vorhang zu treten und sich umzusehen. Niemand beachtete ihn besonders. Und mit "niemand" meine ich jede Menge sehr seltsamer, äußerst blauer Gestalten, die irgendwie vogelig-menschlich aussahen, aber Schwimmhäute zwischen Fingern und Zehen hatten und irgendwas Kiemenartiges am Hals hinter den Ohren. Leute, die man sicher zu keiner Geburtstagsfeier einladen würde.
Offenbar befanden wir uns in einer Stadt. Häuser, aus Lehmziegeln erbaut, bildeten enge Gassen, die von bunten Baldachinen überspannt wurden. Hölzerne Markststände säumten das Karree größerer Plätze. Auf diesem bevölkerten Basar wurde gefeilscht, musiziert und gekocht. Vielerlei Waren wurden angepriesen: Muscheln und Krebse, Muschelschalen und Krebsscheren, Trockenfisch, Grillfisch, Kochfisch. Perlen und Korallenstücke, getrocknete Algenfladen und getrocknete Seesterne. Alles wies darauf hin, dass die Bewohner dieser Stadt aus dem Meer lebten. Wir streiften durch die Gassen und niemand belästigte uns oder wies darauf hin, dass wir nicht blau waren. Die Amulette taten offenbar ihre Wirkung.
Wir wagten es, Einheimische anzusprechen und erfuhren, dass ein Dämon gefangen worden sei, der im Tempel festgehalten werde.

Es war keine große Überraschung, im Tempel einen Käfig mit einem zerzausten Zauberer darin vorzufinden. Wir versicherten dem Oberschamanen des Tempels, Forscher und Wissenschaftler zu sein, die ihnen helfen würden, dass Dämonenproblem der Stadt zu lösen. Sehr diskret unterhielten wir uns mit dem Zauberer Merycad und fanden einiges heraus: 1. Tanzende Zwerge sind etwas derart Absonderliches, dass sich kein Schamane der Welt dieser erregenden Faszination entziehen kann. 2. Dagol kann mit den Händen reden (wussten wir schon) 3. Merycad wurde sein Amulett vom Hals entrissen und damit wurde er enttarnt (halbnackter alter Mann in dem, was er für Badekleidung hält), was naturgemäß zu einer Massenpanik führte.
Würde er befreit, dann habe er einen Ring, mit dem er uns zurück in die Heimatwelt befördern könne.
Wir beschlossen, ihn noch ein wenig im Käfig modern und von gestreiftem Karpfen träumen zu lassen (der Grund, warum der Zauberer in diese Welt gereist war). Derweil wollten wir den Amulett-Dieb finden. Wozu auch immer.
Die Nacht verbrachten wir im Pilgerdorf in einer kleinen nicht ganz schlangenfreien Hütte. Die- wie wir später erfuhren- tödliche Kupfernatter, die offenbar jemand auf uns gehetzt hatte, wurde in einem Bettbezug gefangen und zur weiteren Verwertung an einen Kräuterhändler verkauft.

Dagol freundete sich mit einem Bootsbauer an (Bootsbauer sind die einzigen, die sich mit Bootsbauern anfreunden...keiner weiß, warum). Von diesem erfuhr er, dass es einen Vulkan mit Feuergöttern hinter der Stadt gebe, wo sich niemand hintraute, da diese gefährlich seien. Tja, so etwas durfte man uns nicht sagen: Zack! Führer finden und Wumms! Los zum Vulkan! Halb oben blieb der Führer zurück und die letze Strecke bis zu einem Weg rund um den Vulkankegel bewältigten wir im Alleingang. Auf unserem Weg rund um den Berg auf der Suche nach irgendeinem Hinweis auf Feuergötter bemerkten wir, dass uns eine kleine blaue Gestalt verfolgte. Eine Dornenhecke später hatten wir einen kleinen blauen Gefangenen, der uns ziemlich widerstandslos darüber aufklärte, dass er seit Tagen versuche, uns zu töten, so wie er versucht habe, den Zauberer zu töten. Blau sein macht nicht klug, das merkt man immer wieder. Allerdings stellte sich heraus, dass das Blau ein Illusionszauber war und in Wirklichkeit war der Gefangene ein Gnom. Gnom sein macht auch nicht klug.

Jedenfalls habe er einen Boss, der sei im Berg damit beschäftigt, irgendwelche blauen Kristalle abzubauen, die halluzinogene Wirkung hätten auf manchen Welten. Ein Drogenboss also. Der Gefangene führte uns zum Eingang und wir stiegen hinab in die Tiefen des Vulkangesteins. Dort fand sich alles, was so ein Gnom braucht: Winzige Bettchen, kleine Stühlchen, putzige kleine Toiletten.
Unten angekommen versteckten wir uns und nur Dagol, der grünhaarige Halbelf verhandelte mit dem Boss der vier Gnomen darüber, den Zauberer zu befreien und überhaupt. Er erhielt einen Ring, der unsichtbar macht und die Zusicherung, dass wir den Zauberer befreien und mit nach Hause nehmen dürften. Dagol sicherte seinerseits zu, die Drogenhändler, die sich am Leid ihrer Opfer bereicherten, nicht zu verraten und nicht weiter zu behelligen. Als er entdeckte, dass entführte blaue Froschfresser mit Ketten als Sklaven gehalten wurden, damit sie die blaue Substanz abbauen konnten, rumorte sein Gewissen, doch die Ausführung des Auftrags (Schaut nach, was der windige Zauberer so treibt) schien ihm wichtiger.

Der Rest war schnell erledigt: Wir kehrten zum Tempel zurück, sprachen diskret mit dem Zauberer, malten Kreisekreise und warfen ein wenig Schwarzpulver in eine Feuerschale- und flohen mit dem unsichtbaren Zauberer nach Hause.

Wir werden wiederkehren und den Drogenhändler-Sklaventreibern ein unwürdiges Ende bereiten, so viel ist sicher. Und gestreiften Karpfen werden wir das nächste Mal auch essen!